Annalena Baerbock verfolgt als neue Außenministerin Deutschlands eine „wertegeleitete“ Außenpolitik. Doch welche Werte prägen sie und kann die Politikerin der Grünen diese in einem der höchsten Ämter durchsetzen?
Bereits zu Beginn ihrer Amtszeit sah sich Baerbock mit einer großen Herausforderung konfrontiert. Nur wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt als erste weibliche Außenministerin Deutschlands Jahren trat sie dem russischen Außenminister Sergei Lawrow gegenüber, der bereits seit 18 Jahren im Amt ist. Ihr Ziel war es, den eskalierenden Konflikt in der Ukraine zu entschärfen.
Trotz anfänglicher Skepsis und frauenfeindlicher Angriffe in den sozialen Medien erhielt Baerbock nach diesem Treffen nahezu einstimmiges Lob von den deutschen Medien. Zeitungen verschiedener politischer Ausrichtungen hoben ihre gute Vorbereitung und souveräne Haltung im Gespräch mit einem der am längsten amtierenden Diplomaten hervor.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel äußerte sich positiv: „Sie hat das gut gemacht. Es war überraschend, dass sie keine Fehler gemacht hat und ihr Ton selbstbewusst, aber nicht übertrieben war.“ Zudem betonte er, dass Baerbocks Umgang mit der Ukraine-Krise den Eindruck einer engen Zusammenarbeit mit Bundeskanzler Olaf Scholz von den Sozialdemokraten vermittelt – ein Umstand, der nicht selbstverständlich ist. „Es gab keinen Versuch, das Kanzleramt herauszufordern; vielmehr war es eine Bemühung, eine gemeinsame Linie mit dem Kanzler zu finden“, fügte er hinzu.
Freundliche Medien, solide Leistung
Hubert Kleinert, Politikprofessor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hessen und ehemaliges Bundestagsmitglied der Grünen, zeigte sich nicht überrascht von Baerbocks starkem Start. „Das sind günstige Bedingungen für frühe Erfolge“, erklärte er. „Sie ist eine junge Frau, die ein gewisses Maß an Vitalität mitbringt. Sie ist anders, und ich bin sicher, dass die mediale Darstellung ihr zugutekommt.“ Dennoch warnte er davor, dass positive Medienberichte nicht gleichbedeutend mit der Lösung einer globalen Krise seien. „Am Ende kommt es darauf an, was tatsächlich erreicht wird. Ob dabei Substanz herausgekommen ist, kann ich noch nicht sagen“, fügte Kleinert vorsichtig hinzu.
Tradition der Grünen Partei
Die Grünen haben eine lange Tradition, ethische und menschenrechtliche Aspekte in der Außenpolitik stark zu betonen. Annalena Baerbock setzte diesen Kurs fort, indem sie sich in den Wahlkampfdebatten für eine „wertegeleitete Außenpolitik“ aussprach, mit klaren Positionen zu Ländern wie China, Belarus, Ungarn und Russland. Ihr bekanntester Vorgänger, Joschka Fischer, hinterließ ebenfalls Spuren, als er sich gegen die Beteiligung Deutschlands an der US-geführten Invasion im Irak 2003 stellte, indem er die Beweise für Massenvernichtungswaffen offen infrage stellte.
Die Entwicklung der Grünen Partei in Deutschland
Die Grünen in Deutschland haben sich von einer ökologischen Protestbewegung in den 1980er-Jahren zu einer etablierten politischen Kraft entwickelt.
1980: Vereinigung der Protestbewegungen
Prominente wie Joseph Beuys und Petra Kelly prägten die Gründung. Kelly beschrieb die Grünen als “Anti-Parteien-Partei”.
Einzigartige Parteikultur
Konferenzen der Grünen waren von hitzigen Debatten und einer oft festlichen Atmosphäre geprägt.
Einzug in den Bundestag
1983 schafften die Grünen mit 5,6 % den Einzug in den Bundestag.
Joschka Fischer und Regierungsbeteiligung
Fischer wurde 1985 erster grüner Minister, später Außenminister und spaltete die Partei 1999 durch seine Unterstützung des Kosovo-Einsatzes.
Nach der Wiedervereinigung
1993 fusionierten die West-Grünen mit der ostdeutschen Bewegung „Bündnis 90“.
Heute: Pro-Europa und Vielfalt
Die Grünen vertreten urbane, gebildete Wähler und setzen sich für Umwelt, Bildung, soziale Gerechtigkeit sowie Vielfalt ein.
Der Wandel zum Konservativen
Umweltthemen sind nicht mehr das ausschließliche Vorrecht der Grünen, deren Mitglieder sich von Hippies zu urbanen Profis gewandelt haben. Winfried Kretschmann verkörpert diesen Wandel: Der konservative Grünen-Politiker der ersten Generation wurde der erste Politiker der Partei, der Ministerpräsident wurde. Er schloss sich mit den Christdemokraten zusammen und wurde zweimal als Ministerpräsident von Baden-Württemberg wiedergewählt.
Harmonie feiern
Die Co-Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock stehen für einen neuen Pragmatismus und Zuversicht bei den Grünen in den 2020er-Jahren. Sie unterstützen die „Fridays for Future“-Bewegung und sprechen die zahlreichen neuen jungen Parteimitglieder an, die an den ideologischen Kämpfen zwischen Fundamentalisten und Pragmatikern, die die frühen Debatten der Grünen Partei prägten, kein Interesse haben.
Baerbocks Aufstieg
Annalena Baerbocks Weg begann in den 1980erJahren, als ihre Eltern sie zu Anti-Atomkraft-Demonstrationen mitnahmen. In ihrer Biografie erzählt sie, dass sie seit ihrer Jugend „von weltweiter Ungerechtigkeit berührt“ wurde, was ihren Wunsch weckte, Journalistin zu werden.
Sie studierte Politikwissenschaft und Öffentliches Recht in Hamburg, erwarb einen Master in internationalem Recht an der London School of Economics und begann eine Promotion an der Freien Universität Berlin, die sie jedoch 2013 abbrach, nachdem sie in den Bundestag gewählt wurde.
Baerbocks akademische Laufbahn verlief parallel zu ihrem schnellen politischen Aufstieg. Mit 25 Jahren trat sie den Grünen bei und wurde vier Jahre später Parteivorsitzende in Brandenburg. Gleichzeitig war sie Sprecherin des Arbeitskreises Europa und Vorstandsmitglied der Europäischen Grünen Partei.
In ihrer ersten Bundestagsperiode konzentrierte sie sich auf internationale Themen und setzte sich dafür ein, dass Deutschland seiner Verantwortung als eine der größten Volkswirtschaften gerecht wird und die Energiewende vorantreibt. In ihrer zweiten Amtszeit ab 2017 wandte sie sich jedoch innenpolitischen Fragen zu, insbesondere der Bekämpfung von Kinderarmut und der Unterstützung von Alleinerziehenden.
Eine rocky Kandidatur
Annalena Baerbocks politischer Aufstieg erreichte im April 2021 einen wichtigen Meilenstein, als sie die erste Kanzlerkandidatin der Grünen wurde. Doch nach ihrer Bekanntgabe wurde sie von negativer Presse und skandalösen Enthüllungen wie der fehlerhaften Meldung von Nebeneinkünften und Plagiaten in einem hastig veröffentlichten Buch eingeholt. Trotz gelobter Auftritte in TV-Debatten erholte sich ihre Kampagne nicht, und die Grünen erzielten bei der Wahl im September enttäuschende 14,8 %. Robert Habeck wurde entsprechend ihrer Vereinbarung Vizekanzler der neuen Koalitionsregierung.
Wiederaufstieg
Nach dieser schwierigen Phase konzentriert sich Baerbock nun auf ihre neuen Aufgaben. Gustav Gressel vom ECFR glaubt, dass ihre Unerfahrenheit kein Hindernis darstellt. Er sieht die Minister nicht als Technokraten, sondern als Führungspersönlichkeiten, die Teams aufbauen müssen.
Wie grün kann eine grüne Außenministerin sein?
Baerbock betont, dass ihre Rolle entscheidend im Kampf gegen die Klimakrise sei und Deutschland eine aktive internationale Außenpolitik benötige. Statt nach unrealistischen globalen Lösungen zu streben, plädiert sie für bilaterale Zusammenarbeit mit Ländern, die bereit sind, ihre Industrien auf CO2-Neutralität umzustellen. Gressel meint, dass Baerbocks Erfolg daran gemessen werden sollte, wie bereit Deutschland ist, ihre Werte auch finanziell zu unterstützen.